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Die Straßen von Santa Cruz de la Sierra – persönliche Eindrücke

Auch in Santa Cruz de la Sierra durften wir dank Patty viel mehr erleben, als wir uns vorgenommen hatten. Genau genommen wären wir ohne Patty auch nicht nach Santa Cruz gefahren. Santa Cruz, die größte Stadt Boliviens mit über 1,5 Millionen Einwohner ist keine Schönheit. Wir haben weder tolle Gebäude noch andere Sehenswürdigkeiten entdeckt. Doch diese Stadt weiß durchaus zu faszinieren. Und zu verstören. Mit Sicherheit haben wir vieles nicht gesehen. Ein objektives Bild über diese Stadt können wir uns unmöglich bilden. Vielmehr bleiben unglaublich widersprüchliche Eindrücke, tolle Begegnungen und äußerst intensive Einblicke in eine scheinbare so ganz andere Welt.

Antonio aus Salta war uns inzwischen ans Herz gewachsen. Er schwärmte häufig von seinem Freund Juan aus Santa Cruz. Der könne alles für Patty besorgen, auch einen besseren und größeren Alukühler. Überhaupt könne er den Wagen vernünftig durchchecken. Und so fuhren wir eben nach Santa Cruz. Das mit dem Auto kam dann ganz anders. Juan selber hat gar keine eigene Werkstatt mehr und alles dauerte viel länger als angenommen. Doch dies wird ein eigener Beitrag.

Die ersten Nächte verbrachten wir direkt vor einer Werkstatt parkend, ganz in der Nähe einer großen Ein- und Ausfallstraße. Nur wenige Meter weiter erstreckt sich parallel zu dieser Straße ein riesiger Park über eine Länge von mehreren Kilometern. Ein breites, geteertes Band wird beiderseits von Grünstreifen mit Bäumen, Grillplätzen und Kiosken flankiert. Teilweise trifft man sich morgens zu Laufwettbewerben, kurz vor Einbruch der Dämmerung erscheinen Vermieter von Fahrrädern, Dreiräder und Tretautos. Man schwitzt beim Zumba zu Latinorythmen oder trainiert den großen Faschingsumzug, der ebenfalls hier stattfindet, und den zahllosen Kiosken links und rechts des Parks das Geschäft des Jahres bescheren wird. Auf Festen werden hier bei Livemusik viele ganze Ferkel gegrillt, auf großen karnevalsähnlichen Kostümumzügen werden die besten Darbietungen prämiert, oder es wird eine Autoferia organisiert, auf der Schönheiten in extrem kurzen Minikleidern und High heels unter anderem die neusten chinesischen Nachbauten deutscher Autos ins rechte Licht rücken. Und dies ist nur das, was wir selber mitbekommen haben.
Sogar die Vermieter „unserer“ Werkstatt, die selber auf dem Werkstattgelände wohnen, betreiben einen der zahlreichen Kioske.

Kioske gibt es wie Sand am Meer. Teilweise winzig klein und – mit europäischen Augen gesehen – völlig heruntergekommen, andere schön hergerichtet mit der Auswahl eines kleinen Geschäftes haben sie fast alle gemeinsam, dass sie Teil einer Wohnung sind. Manchmal muss man ein paar Mal rufen, damit jemand in den Verkaufsraum kommt, der vielleicht gerade beim Essen oder Fernsehschauen war. Da sie alle vergittert sind, man also die Ware durch das Gitter gereicht bekommt, besteht keine Gefahr, dass Langfinger schnell etwas mitgehen lassen.
Erfrischungsgetränke wie Cola oder Limonade werden häufig in einer kleinen Plastiktüte verkauft, manchmal auch mit einem guten Schuss Rum oder ähnlichem drin. Strohhalm rein, Tüte um den Halm mit der Hand verschließen und der Genuss kann beginnen. Zigaretten werden auf Verlangen einzeln verkauft. Und da sind die Cocablätter. Diese werden in unzähligen Kiosken verkauft, meist in kleinen, grün-transparenten Tüten. Der Käufer verteil die Blätter gleichmäßig in der Tüte, drückt die Luft aus derselben und legt das ganze zwischen ein großes Ledertuch oder einen anderen, ähnlich festen Stoff. Das ganze legt man auf eine Art Hackstock und dann wird mit einem schwere Eisenhammer minutenlang drauf eingeschlagen. Vor manchen Kiosken stehen bis zu fünf solcher Hackstocke und die Hammerschläge sind besonders nach Einbruch der Dämmerung zahlreich und weit zu hören.

Straßenhändler sieht man noch deutlich mehr als Kioske. Und es gibt sie in allen Größen. Da sind diejenigen, die ihre Waren vom LKW oder Pickup aus verkaufen. Oft wird Obst oder Gemüse angeboten, aber auch frisch zubereitete Milchprodukte und ganz andere Dinge wie Werkzeuge oder Kleidung. Sehr häufig werden auch Säfte, oder kleine Mahlzeiten an der Straße verkauft. Manch ein Verkaufsstand besteht aus einem dreirädrigen Fahrrad, die Luxusvariante wurde auf einem Motorrad aufgebaut. Es geht aber auch viel kleiner. Manch einer schiebt seinen Miniladen mit Hand, andere haben ihren mobilen Grill auf einer Schubkarre befestigt, Kohle und Grillfleisch wie Hühnermägen oder – herzen werden in Plastiktüten mitgebracht. Verzehrt wird das Ganze dann an Ort und Stelle.
Dass man einen Grillspieß aus der Hand isst, ist ja völlig normal. Etwas ungewöhnlicher mutet das Ausschenken und Verzehren der zahlreichen Suppen und Eintöpfen an. Eigentliche Plastikeinwegschüsselchen werden in eine kleine Plastiktüte gesteckt. Mit einer Kelle wird einem Suppe oder Eintopf dann von außen auf die Plastiktüte in die Mulde der Einwegschale serviert und daraus in den Mund gelöffelt. Zum Schluss die Schale wieder aus die Tüte ziehen und schon kann sie wieder verwendet werden. Möchte man ein Gericht mit nach Hause nehmen, so werden diese oft auch ausschließlich in einer Plastiktüte transportiert. Etwas größer sind die fliegenden Restaurants. Meist zwischen zwei und vier Tische werden rund um die mobile Küche oder den Grill aufgebaut. Serviert werden in der Regel Suppen oder Eintöpfe, Gegrilltes oder Frittiertes. Die Nachfrage ist gut, diese Orte werden viel besucht, wohl auch wegen des günstigen Preises von meist unter 1,50 € pro Mahlzeit, inklusive eines Erfrischungsgetränkes. Auch einfachste Restaurants sieht man vor allem in den ärmeren Vierteln recht häufig. Auch hier werden meist billigste Plastikhocker um einen Tisch gestellt. Es gibt die ganz kleinen Restaurant mit ebenfalls zwei bis vier Tischen, aber auch größere mit zehn Tischen und mehr. Oft gibt es ein oder zwei Standardgerichte, die im selben Raum auf einem einfachen Herd zubereitet werden. Hygienevorschriften scheint es nicht zu geben. Dafür werden meist ganz frische, wenn auch billige Zutaten verwendet. So landen sehr häufig Innereien vom Huhn im Topf oder auf dem Grill. Wir probierten eine sehr schmackhafte Hühnersuppe in solch einem kleinen Restaurant. Es war das erste Mal, dass ein Hühnerfuß auf meinem Teller landete. Es schmeckte ausgezeichnet!

Sehr ungewohnt wirkten zunächst die vielen Werkstätten auf mich. Es gibt unzählige davon, manche lediglich so groß wie eine kleine Garage, andere sogar nur halb so groß. In der Regel spezialisiert man sich auf kaum mehr als eine Tätigkeit. Um den Fensterheber der Beifahrertür auch wieder von meiner Seiten betätigen zu können, fuhren wir zu einem „electrico“. Dort ließ ich mir auch einen Taster zum manuellen Vorglühen einbauen. Interessanterweise musste ich erst in kleinen Läden die benötigten Teile, wie Taster, Kabel oder Kabelbinder besorgen. Diese Läden, die wie extrem vollgestopfte, kleine Kioske aussehen, befinden sich meist in einer langen Reihe. Alle haben nahezu das gleiche Angebot. Andere spezialisieren sich auf Ölwechsel, andere auf Bremsen, das Fahrwerk oder die Kühler. Benötigte Ersatzteile werden oft nachbebastelt. So wurde in einer Dreherei, auf spanisch ‚torneria‘, auf einer Drehbank Gummilager für meine Längslenker gedreht.
Rohmaterial für diese Arbeit war ein alten LKW-Reifen. Leider hielt dieses Lager gerade Mal 100 Kilometer.

Viel Zeit verwenden die Bolivianos für das Suchen nach dem billigsten Ersatzteil. So gingen bei der Suche nach Günstigen Gummilager für all meine Längs- und Querlenker über 2 Tage drauf. Dazu mussten auch noch viele Kilometer durch die riesige Stadt gefahren werden, was auch bei dem für Einheimische extrem günstigen Sprit Kosten verursacht. Als ich sagte, ‚lass uns doch die Originalteile kaufen‘ wollte oder konnte man es nicht verstehen. ‚Nein, die sind doch viel zu teuer‘ war die Antwort. Den Einwand, dass dabei viel Zeit verloren geht, konnte nicht nachvollzogen werden. Und am Ende stellte sich heraus, dass überall der identische Preis für die original Nissan-teile verlangt wurde, nur dass der Anbieter, der angeblich so teuer sei, 15% Nachlass für alle Fahrwerksteile gab. Als ein kleines Plastikteil des Fensterheber ausgetauscht werden musste, ging das Drama von vorne los. Diesmal bin ich selber einen halben Tag durch Santa Cruz gefahren und wurde dabei auch noch von einem korrupten Polizisten um 100 Bolivianos erleichtert. Ich sei über eine rote Ampel gefahren, was natürlich absolut nicht stimmte, wartete ich doch als drittes Fahrzeug an einer roten Ampel auf grün. Ziemlich verärgert darüber, vor allem auch über die verlorene Zeit durch Suche und Verhandlungen mit dem Polizisten fragte ich ‚meine‘ Werkstatt, ob ich das Teil nicht auch direkt bei Nissan kaufen könnte. Ja, konnte ich. Für umgerechnet 9 Euro hatte ich das Ding am nächsten Morgen in der Hand. Offensichtlich sucht ein Boliviano lieber zwei oder drei Tage nach diesem Teil auf all den Märkten um es sich dann womöglich nach-basteln lassen. Da prallten zwei sehr unterschiedliche Welten aufeinander.

All diese kleinen Werkstätten sehen sehr heruntergekommen und oft vermüllt aus, wobei der scheinbare Müll oft noch verwendet wird. Und auch hier gilt in der Regel, dass sich die entsprechenden Werkstätten in einer Straße aneinander reihen. Man fährt langsam vorbei und von jeder Werkstatt versucht einer, Dich in seine Werkstatt zu lotsen.
Übrigens, dies war bisher die einzige wirklich negative Erfahrung mit einem Polizisten. Mit Patty und deutschen Kennzeichnen wurden wir zwar laufend angehalten. Doch nur der eine war bislang korrupt. Er setzte sich dann zu mir ins Auto und wollte, dass ich hundert Meter weiter fahre. Er erzählte etwas von einem Büro, wo ich mit ihm hinfahren müsse. Und es würde mich 400 Bolivianos kosten. Dass ich keine Papiere, zumindest nicht im Original, dabei hatte, störte ihn überhaupt nicht. Er wollte nur Geld. Auf meine Frage, wie denn eine Lösung aussehen könnte, meinte er, ich solle ihm 200 Bolivianos zahlen und alles es gut. Ich bot ihm 100, er akzeptierte sofort. Allerdings durfte ich ihm das Geld nicht direkt geben. Ich legte es auf die Mittelkonsole, er nahm es ohne hinzusehen und sagte dabei, ich dürfe niemanden davon erzählen. Später erfuhr ich, dass die offizielle Strafe beim Überfahren einer roten Ampel gerade Mal 50 Bolivianos beträgt, also weniger als 6,50 Euro beträgt.

Was bieten die Straßen von Santa Cruz noch? Wir haben sehr viel Dreck und Müll gesehen, sehr ärmlich gekleidete Menschen und Füßen, bei denen sich oft die Fußnägel nicht von Ihrer Umgebung unterscheiden. Man darf keinen Alkohol auf der Straße trinken, aber wir haben sehr viele Menschen, meist Männer mit von Cocablättern gefüllten Backen gesehen. An fast jeder Kreuzung werden Getränke, Nüsse und andere Sachen verkauft, oft findet man aber auch nur bettelnde Kinder. Auf der Straße haben wir auch Autos gesehen, bei denen man sich kaum vorstellen kann, dass diese überhaupt noch fahren. Verbeult, manchmal ohne Scheinwerfer und Rücklicht, die Blinker fehlen sowieso. Und dann das Blech, sofern es überhaupt noch da ist. Da gibt es Autos, wo der Schweller fast komplett weg gefault ist. Und bei einer Reparatur wird das Blech notdürftig hingebogen und dann mit sehr viel Spachtelmasse zu gekleistert. Die Masse springt nach kurzer Zeit und blättert ab. So konnte ich dann auch sehen, wie schlecht das Blech vorbereitet wurde. Aber es geht auch ganz anders. Auf den Straßen habe ich viele große Geländewagen und SUV’s gesehen. Diese haben in der Regel große 6- oder 8-Zylindermotoren verbaut und über 4 Liter Hubraum. Mein 2,8 Liter 6 Zylinder wurde als Lady belächelt. Und natürlich gibt es auch die Reichen. Unser Mechaniker wollte uns dies offensichtlich auch zeigen und so fuhr er eine Runde durch ein entsprechendes Viertel. Allerdings haben wir von dem Reichtum zunächst nichts gesehen. Stattdessen sahen wir unendlich lange, gut drei Meter hohe Mauern mit viel Stacheldraht am oberen Ende. Dort, wo man doch was sehen konnte erblickten wir dann auch Luxushäuser. In einem Fall standen in einer Art Wohnzimmer fünf hochpreisige Autos. Wir waren froh, als diese Rundtour, deren eigentlichen Zweck nicht wirklich verstanden, wieder vorbei war. Trotz all dem Luxus wirkte das Leben hinter ‚Gefängnismauern‘ sehr abstoßend. Vor allem auch dann, wenn sich all die anderen Szenen auf den Straßen von Santa Cruz vor Augen hält, wie zum Beispiel auf dem harten Steinboden schlafende Kinder und Erwachsene, die, wenn überhaupt, nur ganz spärlich zugedeckt sind.

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