Die Carretera Austral – eine Traumstraße in grandioser Natur [3 Galerien]
16. Mai 2019
Am nördlichen Ortsausgang von Puerto Tranquilo zweigt eine schmale Piste ab in das Tal Valle Exploradores. Gut zwei Stunden geht es Richtung Westen bis zur Laguna San Rafael. Als erster Europäer durchquerte Augusto Grosse in den vierziger Jahren dieses Tal. Im Auftrag der chilenischen Regierung suchte der Deutsche mit dem nicht ganz so deutsch klingenden Namen einen Transportweg zwischen Pazifik und dem Lago General Carrera, der sich unter anderem Namen bis weit nach Argentinien erstreckt. Es dauerte noch viele Jahre, bis dieses Tal mit einem Auto durchfahren werden konnte. Die Daten hierzu sind widersprüchlich. Sicher dagegen ist, dass der Mensch hier die Natur überhaupt nicht im Griff hat. Vor gut einem Jahr führte das immer schnellere Abschmelzen der Gletscher in diesem Tal zu einem gigantischen Bergsturz. Unter dem Gletscher bildete sich ein immer größer werdender See. Schließlich bahnten sich die Wassermassen einen Weg in die Tiefe und riss alles mit sich, vor allem auch riesige Gesteinsbrocken. Die Kraft war so groß, dass durch die Druckwelle am gegenüberliegenden Hang zahlreiche Bäume wie Zahnstocher umknickten. Die Geröllmassen verschütteten die Straße meterhoch, das Tal war ab hier über neun Monate abgeschnitten. Und somit auch das Campo Alacaluf der deutschen Auswanderer Katrin und Thomas. Sie konnten ihr Tal nicht mehr mit dem Auto verlassen oder erreichen, eine fatale Situation, wenn man auf zahlende Touristen angewiesen ist. Als ein Helikopter der chilenischen Armee die beiden und ihre Familie evakuieren wollten, entschieden sie sich, dennoch zu bleiben.
Inzwischen hatten die Steinmassen einen neuen See geschaffen, zusammen mit anderen organisierte Thomas eine kleine provisorische Autofähre und Boote, um Talbesucher durch diese neue Sperre zumindest möglichst nah bis zu seinem Campo zu bekommen. Erst seit kurzem kann die Straße wieder mit dem Auto befahren werden. Die nicht mehr benötigte Fähre und die Boote sind noch stumme Zeugen des Versuchs, den für diese Leute lebenswichtigen Tourismus nicht ganz einbrechen zu lassen.
All diese äußerst interessanten Informationen bekamen wir aus erster Hand. Auf dem Rückweg unseres Abstechers, den wir wegen immer heftigerem Regen am Ende der Strecke vorzeitig abbrachen, stoppte uns ein Mann, der gerade mit einer Schubkarre vor seinem Hof werkelte, mit den Worten: „Servus, griaß eich!“. Damit hatten wir hier überhaupt nicht gerechnet. Es war Thomas, ein Münchner, der unser Kennzeichen sah und uns daraufhin stoppte. Wir unterhielten uns lange und gut. So gut, dass ich total vergaß, das hier mit meiner Kamera festzuhalten. Thomas erzählte uns, dass er hier für „nen Appel und n Ei“ 50 Hektar Regenwald kaufte. Doch er sei kein Bauer. Statt den Wald zu roden legte er dort einen Lehrpfad an. Zusammen mit seiner Frau baute er das Camp auf. Schon häufiger hatte er Expeditionsteams zu Gast. Leider neigte sich unsere Zeit immer schneller zu Ende und wir verspürten einen steigenden Druck, weiterfahren zu müssen. Zu gerne hätten wir uns dieses mystische Tal viel näher angeschaut. Die Gletscher, die sich fast die ganze Zeit vor uns hinter Wolken versteckt hielten, wollen auch noch erkundet werden, gerne vom Campo Alacaluf. Wie gut, dass wir schon vorher beschlossen hatte, dies alles mit mehr Zeit im Rucksack nochmal zu bereisen.
Die fortschreitende Zeit brachte auch die Notwendigkeit mit sich, die in einigen Wochen anstehende Rückreise zu organisieren. Leider hatten sich die Rahmenbedingungen ja deutlich geändert. Grimaldi hatte beschlossen, dass Passagiere nur noch von Hamburg nach Montevideo, nicht aber von dort zurück nach Deutschland an Bord dürfen. Der Untergang der Grande America führte zudem zu großer Nervosität bei den Verantwortlichen. Immer neue Meldungen über das, was im Fahrzeug sein darf oder nicht waren im Internet zu finden. Um Nägel mit Köpfen zu machen, suchten wir Informationen aus erster Hand. Dazu telefonierten wir mit einer Agentur aus Hamburg. Am Ende des Valle Exploradores gab es einen kleinen Hof, in dem wir im Gegensatz zu Puerto Tranquilo tatsächlich Netz hatten. Ich stoppte Patty, stieg aus und hatte schon die entsprechende Taste am Smartphone gedrückt, da war es klar und deutlich zu hören. Aus einem Reifen strömte Luft!! Nach so vielen Pistenkilometern hatte es uns doch noch erwischt. Ich versuchte, noch schnell zu einer Vulcanización genannten Werkstatt zu gelangen. Doch der Reifen verlor viel zu schnell an Volumen. Also Anhalten und Reifen wechseln. Das stellte sich als ziemlich schwierig heraus. Der Untergrund war weich und tief und der Hub des Wagenhebers reichte nicht aus, um den Wagen genug anzuheben. Dabei handelte es sich um den originalen Wagenheber von Nissan. Glücklicherweise hielt sehr schnell ein Chilene und lieh mir seinen Wagenheber. Mit beiden zusammen schafften wir schließlich die erforderliche Höhe und konnten das Ersatzrad montieren. Damit war klar, dass wir noch eine weitere Nacht in Puerto Tranquilo verbringen würden. Ohne geflicktes Rad würde ich die fast 250 Kilometer Piste zur nächsten Stadt Coyhaique nicht in Angriff nehmen.
Am nächsten Morgen fanden wir dann eine Werkstatt, um den Reifen zu flicken. Als Ausländer bezahlten wir den doppelten Preis. Das war mir bewusst, doch war ich froh, mit einem geflickten Rad weiterfahren zu können und habe bei den Gesamtkosten von 10.000 Pesos, also knapp 13 Euro auf irgendwelche Diskussionen verzichtet. Die Carretera Austral hielt absolut, was man sich von ihr verspricht. Es ist eine Traumstraße. Zumindest heute noch. An immer mehr Stellen wächst die Teerdecke wie ein Krebsgeschwür. Unsere erste Teilstrecke führte uns nach Coyhaique. Die nette Stadt lud zum Bummeln ein, es gab einige Läden und eine kleine Fußgängerzone. Wir übernachteten an einem ruhigen Platz vor der Universität. Als wir am nächsten Morgen starten wollten, merkte ich, dass an dem eben reparierten Reifen einiges an Luft fehlte. Zunächst füllte ich die fehlende Luft mit dem Kompressor nach, nachdem ich das Ventil etwas nachzog. Doch schon nach nach zehn Kilometer war klar, es lag nicht am Ventil. Der Reifen ist wieder undicht. Also fuhren wir wieder zurück in die Stadt und suchten uns wieder eine Vulcanización. Nach der Demontage zeigte mir der Mechaniker mit einem deutlichen Kopfschütteln das Innere des Reifens. Der Flicken, der das Loch hätte verschließen sollen, hing fast lose herab, die Schutzschicht aus Kunststoff war nicht einmal abgezogen. Unglaublich! Diesmal überzeugte ich mich selbst von der Arbeit. Es war alles in Ordnung und ich zahlte den regulären Preis von 5.000 Pesos.
Als ich mir den Verlauf der RN7, wie die Carretera Austral offiziell bezeichnet wird, auf einer Landkarte ansah, war sofort klar, dass viele Teilstrecken gar nicht als Straße existieren. Man muss diese Wege mit Fährbooten zurücklegen. Für diese Teilstrecken benötigten wir über fünf Stunden reine Fahrzeit auf dem Wasser. Bedingt durch den Herbstfahrplan, war dies an nur zwei Tag nicht zu erledigen, egal wie früh man aufsteht und wie lange man hinter dem Steuer sitzt. Schließlich waren wir fast eine Woche auf der Carretera Austral unterwegs, die nördlichere Hälfte gingen wir bei schlechtem Wetter und steigendem Zeitdruck recht flott an. Schließlich wollten wir noch ein paar schöne Tage bei Marcelo verbringen und nicht nur unsere Notfallkreditkarte abholen.